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Die Quelle

... Der Engel sah sich um, und wie er dort stand, fühlte er plötzlich, dass immer noch etwas fehlte. Auf einmal bemerkte er eine kleine, bleiche, stille Fee. Sie stand bewegungslos an eine Birke gelehnt und schaute träumerisch vor sich hin. Sie hatte große, dunkelblaue Augen und ein hellgrünes Seidenkleid an. "Wer bist denn du?" flüsterte der Engel verwundert.

"Niemand bin ich", antwortete traurig die kleine schlanke Fee, "ich habe noch keinen Namen." Der alte Geist der Stille seufzte. "Lass sie", murmelte er, "sie ist meine älteste Tochter. Sie ist zu nichts zu gebrauchen. Überlass ich ihr die Schnecken: so laufen sie auseinander. Überlass ich ihr das Moos: vertrocknet es. Sie möchte immer nur erzählen, und das langweilt mich fürchterlich. Ich hab's gern, wenn ein jeder schweigt. Aber mit meinen beiden Töchtern, ach, da hab' ich schon allerlei Ärger."

"So?" sah sich der Engel neugierig die merkwürdige kleine Fee an, "und worüber kannst du denn so viel erzählen?"

"Über alles!" sagte sie mit glänzenden Augen, "über alles! Über Bäume, die sich im Winde wiegen, Wolken die von weither den Regen bringen, über Vögel und Tiere, über die Sonne, wenn sie untergeht, und über den Mond, wenn er sich über den Gipfeln der Bäume erhebt und Silberpulver siebt..." "Warte, warte", lächelte der Engel, "warte ein wenig."

Damit bückte er sich und berührte einen Stein. Und im selben Augenblick, als er mit seiner Hand den harten grauen Stein betastete, sprudelte glitzernd eine silberne Quelle hervor".

Da hast du was für dich: ich gebe dir die Quelle und den Bach. Damit kannst du plätschern und plaudern und alles erzählen, was dir nur einfällt. Niemand wird dich dabei stören. Gefällt dir das?"

Quellbuch

Da sprang die kleine grüne Fee ins Wasser hinein. Sie lachte und klatschte in die Hände und hüpfte ausgelassen die Felsen hinab, zwischen den verwunderten Bäumen hindurch, über stille Wiesen und träumende Lichtungen, schwätzend, singend, huschend, und flüsterte geheimnisvolle Wundergeschichten durch die Wälder.

Sie erzählte den Felsen von den Bäumen. Den Bäumen von den Felsen. Und von Blumen und Vögeln und von den Wolken. Erzählte und erzählte Tag und Nacht, immer, immer, unermüdlich. Schwätzte und huschte, lachte und hüpfte, trieb Unsinn und flüsterte wunderschöne Märchen. Und der Wald wurde auf einmal so fröhlich und so heiter wie noch nie. Die Bäume lächelten, die Blumen fingen an zu tanzen, und die Steine glänzten warm in der Sonne, und die Tiere gingen alle zum Bach herunter, um zuzuhören.

Und seither erzählt sie noch immer. Wenn du einmal im Walde gehst und eine Quelle findest, setze dich auf einen Baumstamm nieder oder auf einen Stein. Sei ganz still. Dann wirst du sie hören, Und wenn du gute Ohren hast und die Sprache der Wälder kennst, dann kannst du auch ihre Geschichten verstehen, die von den Bäumen, den Blumen und den Wolken erzählen...